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Fach-Artikel: Das Ende der "Akquisephase"? | Der Architekten- und Ingenieurvertrag: Leistungsinhalt, Zielfindung und Sonderkündigungsrecht

Foto: AK M-V
05-2018
von RA Professor H. Henning Irmler, Irmler & Collegen Rechtsanwälte, Schwerin und erschienen im "BAURECHT AKTUELL" Sonderausgabe 2018, Seite 34-39
 

Akquise ist für Auftraggeber ein Zauberwort, für Architekten hingegen ein Fluch. Für (viele) Auftraggeber ist es selbstverständlich, erst einmal "kostenlose" Architektenleistungen erhalten zu wollen, mit der vermeintlichen Begründung, man müsse ja erst einmal sehen, ob man mit diesem Architekten zusammen arbeiten könne. Niemand kommt auf den Gedanken, in einem Restaurant eine Vorspeise und ein Hauptgericht zu bestellen und anschließen die Bezahlung mit der Begründung zu verweigern, "man müsse ja erst einmal sehen, ob der Koch kochen könne."

Damit ein solches Denken auch im Zusammenhang mit Architekten- und Ingenieurleistungen überflüssig wird, hat der Gesetzgeber mit dem neuen Planervertragsrecht ein wohldurchdachtes System erschaffen, um zum Einen unmittelbar einen Vertrag zwischen den Parteien zu schließen und zum Anderen den Parteien, insbesondere dem Bauherrn, die Möglichkeit zu geben, sich frühzeitig aus dem Vertrag zu lösen. Anders als im Fall des sog. freien Kündigungsrechts muss der Bauherr in diesem Fall nicht die - für den gesamten Vertrag - vereinbarte Vergütung unter Berücksichtigung ersparter Aufwendung zahlen, sondern nur die - relativ geringere - Vergütung für bis dahin erbrachte Leistungen des Architekten.
A. Was schulden Architekten und Ingenieure aus einem Vertrag: (nur) Erfolg, (einzelne) Leistungen oder beides?

 Die Streitfrage ist allen Baubeteiligten bekannt: wonach und wie bestimmt sich die konkrete Leistungspflicht des Architekten oder Ingenieurs in einem Vertragsverhältnis. Zunächst - banal - ausschließlich nach dem Vertrag. Dies entsprach dem - bisher angenommenen - Charakter des Architekten- und Ingenieurvertrages als -ausschließlicher- Werkvertrag. Liessen sich dem Vertrag  die einzelnen, geschuldeten Erfolge oder Teilerfolge zweifelsfrei entnehmen, kam es zur ordnungsgemäßen Vertragserfüllung nur darauf an, dass der Erfolg bzw. die Teilerfolge tatsächlich eingetreten sind und nicht darauf, ob und welche Leistungen der Architekt/Ingenieur im Einzelnen für das Herbeiführen des Erfolges tatsächlich erbracht hat.
Liessen sich dem konkreten Vertrag die vertraglich geschuldeten Leistungspflichten nicht bzw. nicht zweifelsfrei entnehmen, war und ist der Vertrag auszulegen. Nahm der Vertrag aber z.B. ausdrücklich auf die Normen der HOAI Bezug, dann schuldet der Architekt bzw. der Ingenieur seit der BGH-Entscheidung vom 24.06.2004[1] (Teilerfolge-Entscheidung) im Zweifel auch jede einzelne Grundleistung als selbständigen Teilerfolg, wenn diese für den Auftraggeber von Interesse ist, was im Zweifel bejaht werden wird.
Diese BGH-Rechtsprechung prägte in der Folge nicht nur die Architekten- und Ingenieurverträge, die die HOAI in Bezug nahmen, sondern stellte mittelbar auch den ausschließlichen Erfolgscharakter des Architekten- und Ingenieurvertrages ohne HOAI-Bezug in Frage.

B. Der vereinbarte Vertragsinhalt: die seitens des Architekten und Ingenieurs geschuldete Leistung

Durch die Reform des Bau- und Planervertragsrechts wird neben dem Bauvertrag erstmalig auch der Architekten- und Ingenieurvertrag als eigenständiger Vertragstyp in das BGB integriert. Dabei hat der Gesetzgeber schon in seiner Einordnung deutlich gemacht, dass er den Architekten- und Ingenieurvertrag nicht (mehr) ausschließlich als Werkvertrag, sondern als typengemischten Vertrag einordnet. So lautet der Titel 9 des BGB nunmehr "Werkvertrag und ähnliche Verträge". Im Untertitel 1 findet sich neben den - bisherigen - allgemeinen Vorschriften unter anderem auch das Kapitel "Bauvertrag", so dass dieser somit - selbstverständlich - eindeutig dem Werkvertrag zugeordnet ist. Der Architekten- und Ingenieurvertrag hingegen findet sich eigenständig in Untertitel 2, womit deutlich wird, dass dieser (eben) keinen ausschließlichen Werkvertrag, sondern einen werkvertragsähnlichen Vertragstyp darstellt. Diese Einordnung berücksichtigt, dass dienstvertragliche Elemente - einzelne, erforderliche Leistungen - eigenständige Erfolgsbestandteile sind, so dass bei deren Fehlen bzw. Nichterbringen ein unvollständiger Vertrag bzw. ein nicht- oder schlechterfüllter Vertrag vorliegt.

Nach § 650p Abs. 1 BGB wird der Unternehmer durch einen Architekten- oder Ingenieurvertrag "verpflichtet, die Leistungen zu erbringen, die nach dem jeweiligen Stand der Planung und Ausführung des Bauwerks oder der Außenanlage erforderlich sind, um die zwischen den Parteien vereinbarten Planungs- und Überwachungsziele zu erreichen." Eine klare Definition des Architekten- und Ingenieurvertrages ist hierin (noch) nicht zu sehen, sondern eine abstrakte Beschreibung der vertragstypischen Pflichten, die wiederum durch § 631 BGB konkretisiert werden. Der seitens des Architekten bzw. Ingenieurs geschuldete Vertragsinhalt setzt sich somit einmal aus vereinbarten Planungs- und Überwachungszielen und zum anderen aus den diese Ziele erfüllende Leistungsverpflichtungen zusammen. Die Leistungspflichten des Architekten und Ingenieurs, die nach dem jeweiligen Stand der Planung und Ausführung des Bauwerks oder derAußenanlage erforderlich ist, werden also durch die Planungs- und Überwachungsziele bestimmt.  Die Gesamtheit dieser Leistungspflichten ist dann der vom Architekten oder Ingenieur gemäß § 650q ABs. 1 i.V.m. § 631 BGB geschuldete Gesamterfolg[2]. Die Gegenleistungspflicht des Auftraggebers, nämlich die Zahlung der vereinbarten Vergütung, ist nicht in § 650p BGB normiert. Dessen Pflicht folgt aus § 650 q BGB, der insoweit (auch) auf § 631 Abs. 2 2. HS BGB verweist.
Mit § 650p BGB wird eine ausschließliche Erfolgsbezogenheit des Architekten- und Ingenieurvertrages (endgültig) aufgegeben. Der Vertrag ist folglich nicht allein dadurch (mangelfrei) erfüllt, dass die vereinbarten Werkerfolge, nämlich die Planungs- und Überwachungsziele, eingetreten sind, sondern die einzelnen Leistungen, die zum Herbeiführen dieses Erfolges erforderlich sind, sind ebenfalls Bestandteil der geschuldeten, mangelfreien Leistung (insgesamt)[3]. Neben die Erfolgsbezogenheit tritt somit - gesetzlich vorgegeben - die Leistungsbezogenheit des Architekten- und Ingenieurvertrages.
Anzumerken bleibt, dass ein Architekten- und Ingenieurvertrag nach § 650p BGB auf die Erbringung von Planungs- und Überwachungsleistungen begrenzt ist. Soll der Architekt - gesondert - Beratungsleistungen o.a. erbringen, wird ein entsprechender Vertrag als (klassischer) Werkvertrag nach § 631 BGB, nicht aber (zusätzlich) als Architekten- oder Ingenieurvertrag qualifiziert[4]. 
C. Die vereinbarten Planungs- und Überwachungsziele
 
Ein Architekten- und Ingenieurvertrag setzt danach die Vereinbarung der Parteien über die geschuldeten/zu erreichenden Planungs- und Überwachungsziele voraus. Hierunter sind nicht die zu erbringenden Architekten- und Ingenieurleistungen oder deren Leistungsumfang selbst zu verstehen, sondern die Festlegung des Objekts und die auszuführende Maßnahme[5]. Es handelt sich somit um die detaillierte Festlegung der vertraglichen Beschaffenheit des Architekten- bzw. Ingenieurwerkes, wie z.B. die Art des Objektes (z.B. Einfamilienhaus, Bürogebäude, Hotel), die Maßnahme (z.B. Neubau, Umbau, Modernisierung, Instandsetzung), Angaben zum Umfang (z.B. Raum- und Flächenbedarf, Gebäudeteile), Angaben zur Qualität (z.B. Qualitätsstandards, Materialien, Ausstattung), Angaben zur Gestaltung (z.B. Bauweise, Dachform, Fassade), Angaben zur Funktionalität (z.B. Flexibilität der Nutzung, Barrierefreiheit, Anschlussnutzung, Erweiterungsmöglichkeiten), Angaben zur Technik und zur technischen Ausstattung, (z. B. Konstruktionsart - Massivbau, Holzbau -, Akustik, Schallschutz), Energetische Vorgaben (z.B. Passivhaus, KfW-Standard, Einsatz regenerativer Energien) und Angaben  zu den Kosten (z.B. Kostenobergrenze, wirtschaftlicher Rahmen der Gesamtmaßnahme). Sofern z.B. nicht ausdrücklich eine bestimmte Anzahl von Räumen oder Geschossen als Beschaffenheit vereinbart ist, ist deren Anzahl kein Planungsziel, sondern ergibt sich im Laufe des Planungsprozesses und ist damit Teil des konkreten Planungsergebnisses. Soweit gegenteilige Auffassungen vertreten werden, übersehen diese, dass sich ein Planungsziel erst dann bestimmen ließe, wenn die Planungsleistungen erbracht sind.

D. Die zur Erreichung der vereinbarten Planungs- und Überwachungsziele erforderlichen Leistungen
Das neue Planervertragsrecht definiert keine konkreten Leistungen, sondern überlässt dies den Vertragsparteien: ob mit oder ohne genaue Bezeichnung oder Beschreibung konkreter Leistungen, ist der Architekt und Ingenieur dazu verpflichtet, immer alle Leistungen zu erbringen, die "nach dem jeweiligen Stand der Planung und Ausführung des Bauwerks oder der Außenanlage erforderlich sind, um die zwischen den Parteien vereinbarten Planungs- und Überwachungsziele zu erreichen." Damit ist die Bestimmung der Planungs- und Überwachungsziele der maßgebliche Bezugspunkt für die konkret geschuldeten Leistungspflichten. Im Wege der Auslegung mögen sich diese Leistungen dann eventuell auch nach der HOAI richten oder auch nicht, jedenfalls obliegt es ausschließlich dem Architekten und Ingenieur, dasIngenieurleistung Erfordernis von (abzurechnenden) Leistungspflichten für die Erreichung der vereinbarten Planungsziele nachzuweisen. Denn es obliegt dem Auftragnehmer, den Abschluss eines Architekten- oder Ingenieurvertrages und auch dessen Umfang darzulegen und zu beweisen. Da der Architekten- und Ingenieurvertrag aber weiterhin den werkvertraglichen Erfolgscharakter aufweist, obliegt es ihnen ebenfalls - bis zur Abnahme ihrer Architekten- bzw. Ingenieurleistung - darzulegen und zu beweisen, dass eine bestimmte Leistung nicht erforderlich war und deren Fehlen somit keinen Mangel darstellt.
E. Die Zielfindungsphase gemäß § 650p Abs. 2 BGB
   1. Die gravierende Neuerung im Architekten- und Ingenieurrecht
§ 650p Abs. 2 BGB greift den Umstand auf, dass sich Bauherren bei Abschluss eines Architekten- oder Ingenieurvertrages (oft) noch nicht im Klaren sind, welche konkreten Ziele sie mit ihrem Bauvorhaben eigentlich verfolgen. Danach "hat der Architekt bzw. Ingenieur zunächst eine Planungsgrundlage zu erstellen, soweit wesentliche Planungs- und Überwachungsziele noch nicht vereinbart sind. Er legt dem Besteller die Planungsgrundlage zusammen mit einer Kosteneinschätzung für das Vorhaben zur Zustimmung vor".
Die Zielfindungsphase ist in unmittelbarem Zusammenhang mit dem bereits erwähnten Sonderkündigungsrecht nach § 650r BGB zu sehen. Bislang führten gerade Architektenverträge mit privaten Bauherren, die als sog. Vollarchitekturverträge über die "Erbringung aller Leistungsphasen" geschlossen waren, oft zu nicht unerheblichen Problemen. Mangels Klarheit über die tatsächlichen Ziele, die die Planung eines Architekten erfüllen sollte, wurden diese Ziele erst im Laufe des Planungsprozesses und nicht selten erst an dessen Ende "gefunden". Ohne Festlegung der wesentlichen Planungs- und Überwachungsziele) existiert aber kein Rahmen, an dem der Architekt sich orientieren und seine Leistungsverpflichtungen feststellen kann. Ergeben sich daraus Schwierigkeiten bleibt den Auftraggebern häufig keine andere Wahl, als den Architektenvertrag frei nach § 648 BGB (bisher § 649 BGB) zu kündigen, gleichwohl aber die volle Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen auf Seiten des Architekten zahlen zu müssen.
Durch die Zielfindungsphase werden die Parteien zu Beginn ihres Vertragsverhältnisses verpflichtet, die wesentlichen Planungs- und Überwachungsziele als Beschaffenheit (siehe C.) vertraglich festzulegen. Gelingt dieses nicht, können beide Parteien den Vertrag kündigen, ohne dass die Auftraggeber zur Zahlung der "vollen Vergütung" verpflichtet sind.
    2. Anwendungsbereich
Bei der Zielfindungsphase handelt sich ausdrücklich nicht um eine generelle Phase bzw. eine "Leistungsphase 0", die bei jedem Architekten- und Ingenieurvertrag zwingend zu durchlaufen ist bzw. erbracht werden muss, sondern ausdrücklich um eine Ausnahme. Die Zielfindungsphase ist als Auffangtatbestand zu verstehen und tritt nur dann ein, "soweit die wesentlichen Planungs- und Überwachungsziele noch nicht vereinbart sind". Ist dies bereits im Rahmen des geschlossenen Vertrages der Fall, sind die vertraglichen Planungs- und Überwachungsziele bereits festgelegt und damit die Zielfindungsphase nicht mehr möglich[6].
Maßgeblich ist deshalb, dass es sich bei bereits vereinbarten Planungs- und Überwachungszielen um wesentliche handelt. Haben die Vertragsparteien teilweise - wesentliche - Planungsziele vereinbart, aber noch nicht alle, so ist die Zielfindungsphase (nur) auf die noch nicht vereinbarten, wesentlichen Ziele anzuwenden.
Wann ein Planungsziel als wesentlich zu bezeichnen ist, hängt sowohl von der Verkehrsanschauung ab als auch von den subjektiven Vorstellungen der Auftraggeberseite ab.  Nicht zu den wesentlichen Planungszielen gehören die Einzelheiten, die erst in der eigentlichen Planungsphase festzulegen sind[7]. Soweit der Gesetzgeber in seiner Begründung beispielsweise die Art des Daches oder die Zahl der Geschosse als wesentlich anführt, ist Vorsicht angebracht. Soweit einem Auftraggeber eine bestimmte Dachform (z.B. Pultdach) oder eine bestimmte Geschosszahl für sein Vorhaben so wichtig sind, dass er das Vorhaben nur so geplant und errichtet haben will, handelt es sich selbstverständlich um wesentliche Planungsziele i.S.d. § 650p Abs. 2 BGB. Keinesfalls darf aber verallgemeinert werden, dass in den Fällen, in denen keine Festlegung z.B. der Dachform oder der Geschosszahl erfolgt ist, noch wesentliche Planungsziele fehlen. Denn gerade Dachformen und Geschosszahlen sind Beispiele für Ergebnisse von Planungsprozessen. Vielfach führen die Vorstellungen der Auftraggeber wie z.B. eine bestimmte Nutzungsart mit einem bestimmten Raumprogramm[8] erst als Ergebnis des Planungsprozesses zu einer bestimmten Dachform oder Geschosszahl. Planungsergebnisse müssen somit immer die wesentlichen Planungsziele erfüllen, begründen sie aber nicht selbst. Denn auch das neue Planervertragsrecht ändert nichts daran, dass es sich bei Planungsprozessen um dynamische Prozesse handelt, deren Ergebnisse am Ende stehen.
     3. Vertragstypische Pflichten des Architekten und Ingenieurs
Nur in den Fällen, in denen wesentliche Planungs- und Überwachungsziele ganz oder teilweise noch nicht vereinbart sind, postuliert § 650p Abs. 2 BGB die - weitere - Hauptpflicht des Architekten oder Ingenieurs, eine Planungsgrundlage zur Ermittlung der wesentlichen Planungs- und Überwachungsziele zu erstellen.
           a)    Erstellen einer Planungsgrundlage
Der Begriff der Planungsgrundlage ist nicht näher definiert. Als Ergebnis muss die Planungsgrundlage sicherstellen, dass die Parteien die - noch offenen - wesentlichen Planungsziele vereinbaren können. Die hierfür erforderlichen Leistungen sind von den Planungsleistungen selbst strikt abzugrenzen, letztere sind zur Erstellung der Planungsgrundlage (noch) nicht geschuldet. Auch wenn es sich bei der Erstellung um eine Hauptleistungspflicht des Architekten oder Ingenieurs handelt, besteht eine - ungeschriebene - Mitwirkungspflicht des Bestellers, wenn nicht sogar die Verpflichtung, sein Leistungsbestimmungsrecht auszuüben[9]. Denn der Architekt benötigt zur Erstellung der Planungsgrundlage die Vorstellungen des Auftraggebers. Der Architekt hat insoweit zunächst dessen Wünsche und Vorstellungen zu erfragen[10].
Letztlich ist der Umfang der jeweiligen Planungsgrundlage eine Frage des Einzelfalls. Immer aber muss sie alle Informationen und Unterlagen enthalten, die der Besteller zur Entscheidung über die Zustimmung benötigt[11]. Planerische Einzelheiten müssen in der Planungsgrundlage nicht enthalten sein. Insbesondere muss der Architekt oder Ingenieur noch keine "gestalterische Alternativlösung auf Grundlage der ermittelten Anforderungen entwickeln", häufig wird der Architekt jedoch eine auf den Abstimmungen basierende Baubeschreibung übergeben, aus der sich die wesentlichen Planungsziele ergeben[12].

         b)    Erstellen einer Kosteneinschätzung
Zusammen mit der Planungsgrundlage hat der Architekt eine Kosteneinschätzung - ebenfalls zur Zustimmung - zu übergeben. Diese ist gleichfalls Bestandteil der - weiteren - Hauptleistungspflicht des § 650p Abs. 2 BGB. Aus der Formulierung folgt, dass es sich insoweit nicht um eine "Kostenschätzung nach DIN 276" handelt, sondern um einen eigenen Begriff. Nach der Gesetzesbegründung soll die Kosteneinschätzung dem Besteller "lediglich eine grobe Einschätzung der zu erwartenden Kosten für seine Finanzierungsplanung geben"[13]. Planungsgrundlage und Kosteneinschätzung zusammen sollen dem Besteller eine fundierte Entscheidung ermöglichen, ob er dieses Vorhaben auf dieser Basis realisieren möchte.
In der Praxis wird hier Vorsicht an der Tagesordnung sein. Denn eine lediglich "grobe Kosteneinschätzung" wird in aller Regel als Kostenobergrenze ein Planungsziel i.S.d. § 650p Abs. 2 BGB. Denn die Planungsgrundlage und die Kosteneinschätzung sind dem Besteller gemeinsam zur Zustimmung vorzulegen. Beides gemeinsam dient der Festlegung der wesentlichen Planungs- und Überwachungsziele, die wiederum vertragliche Beschaffenheiten darstellen. Vor diesem Hintergrund wird auch die Kosteneinschätzung im Ergebnis vertragliche Beschaffenheit und somit zur Kostenobergrenze. Architekten und Ingenieure sind wohl beraten, wenn sie vor diesem Hintergrund die Kosten nicht nur "grob einschätzen", sondern - auf eigenes Kostenrisiko - Kosten so ermitteln, dass ihr Einhalten als Beschaffenheit nicht von vornherein aussichtslos ist.
    c)    Folgen der Zustimmung
Stimmt der Besteller der Planungsgrundlage und der Kosteneinschätzung zu, sind die wesentlichen Planungs- und Überwachungsziele ermittelt. Die Zielfindungsphase ist damit abgeschlossen und der Architekten- oder Ingenieurvertrag nach § 650p Abs. 1 BGB ist abschließend bestimmt.
Stimmt der Besteller der Planungsgrundlage nicht zu, kann das bedeuten, dass er entweder Änderungen diesbezüglich, also Nacherfüllung verlangt[14] oder, dass er den Architektenvertrag nicht weiter führen will. In letzterem Fall kann er von dem Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen.
F. Das Sonderkündigungsrecht gemäß § 650r BGB
     1. Allgemein
Ausschließlich für die Anwendungsfälle der Zielfindungsphase begründet § 650r BGB für beide Vertragsparteien ein Sonderkündigungsrecht. Sind die wesentlichen Planungs- und Überwachungsziele bereits vertraglich i.S.d. § 650p Abs. 1 BGB vereinbart, ist für das Sonderkündigungsrecht nach § 650r BGB kein Raum, sondern dem Besteller verbleibt (nur) die Möglichkeit einer (freien) Kündigung nach § 648 BGB oder beiden Parteien die Kündigung aus wichtigem Grund nach § 648a BGB.
    2. Kündigungsrecht des Auftraggebers gemäß § 650r Abs. 1 BGB
Das Kündigungsrecht des Bestellers entsteht nach Vorlage der Unterlagen gem. § 650p Abs. 2 BGB und "erlischt zwei Wochen nach Vorlage der Unterlagen". Nur bei Verbraucherverträgen beginnt die zweiwöchige Frist erst, wenn der Besteller "ihn bei der Vorlage der Unterlagen in Textform über das Kündigungsrecht, die Frist, in der es ausgeübt werden kann, und die Rechtsfolgen der Kündigung unterrichtet hat."
Die relativ kurze Frist von 2-Wochen kann einvernehmlich im Architektenvertrag über eine längere Dauer vereinbart werden. Die Kündigung kann der Besteller ohne Angabe von Gründen aussprechen, selbst wenn die Planungsgrundlage sich mit den Vorstellungen des Bestellers deckt.
Eine Grenze wird allenfalls gegeben sein, wenn die Ausübung des Sonderkündigungsrechts rechtsmissbräuchlich, willkürlich oder treuwidrig ist[15].
Die Kündigung muss wegen des Verweises in § 650q Abs. 1 BGB auch auf § 650h BGB schriftlich erfolgen und dem Architekten oder Ingenieur innerhalb der Kündigungsfrist zugegangen sein.
Das Sonderkündigungsrecht des Bestellers erlischt, wenn er dieses nicht innerhalb der zweiwöchigen Kündigungsfrist ausübt. In diesem Fall bleibt der ursprünglich abgeschlossene Vertrag unverändert bestehen. Durch den Ablauf der Kündigungsfrist tritt hinsichtlich der Planungs- und Überwachungsziele keine Fiktion ein. Dem Vertrag fehlt dann weiterhin die Vereinbarung eines oder mehrerer wesentlicher Planungsziele. Dies hat zur Folge, dass beide Vertragspartner entweder weiter an der Vereinbarung der wesentlichen Planungsziele mitwirken müssen oder der Besteller sein Leistungsbestimmungsrecht ausüben muss[16].
    3. Kündigungsrecht des Architekten und Ingenieurs gemäß § 650r Abs. 2 BGB
Dem Architekten oder Ingenieur steht im Fall der Zielfindungsphase ebenfalls ein Sonderkündigungsrecht zur Verfügung. Er kann dem Besteller eine angemessene Frist für die Zustimmung zu der von ihm vollständig und mangelfrei erstellten Planungsgrundlage und der Kosteneinschätzung setzen. Verweigert der Besteller die Zustimmung oder gibt er innerhalb der gesetzten Frist keine Erklärung zu den Unterlagen ab, kann der Architekt oder Ingenieur seinerseits den Vertrag - wiederum schriftlich - kündigen.
Dem Architekten oder Ingenieur steht im Fall der Zielfindungsphase ebenfalls ein Sonderkündigungsrecht zur Verfügung. Er kann dem Besteller eine angemessene Frist für die Zustimmung zu der von ihm vollständig und mangelfrei erstellten Planungsgrundlage und der Kosteneinschätzung setzen. Verweigert der Besteller die Zustimmung oder gibt er innerhalb der gesetzten Frist keine Erklärung zu den Unterlagen ab, kann der Architekt oder Ingenieur seinerseits den Vertrag - wiederum schriftlich - kündigen.
Wann eine Frist i.S.d § 650r Abs. 2 BGB angemessen ist, soll vom Einzelfall abhängen, wobei insbesondere auf den Umfang der Planung und die Vorkenntnisse des Bestellers abgestellt wird[17]. Sofern die Zustimmungsfrist für den Besteller nach § 650r Abs. 1 BGB nicht vertraglich verlängert worden ist, ist kein Grund ersichtlich, eine zwei-Wochen-Frist auch für den Sonderkündigungsfall des Architekten oder Ingenieurs als angemessen anzusehen. Dies gilt umso mehr, wenn der Architekt den Besteller (erst) nach Ablauf dessen Kündigungsfrist nach § 650r Abs. 1 BGB auffordert.
    4. Vergütung des Architekten nach erfolgter Sonderkündigung gemäß § 650r Abs. 3 BGB4.
Kündigt eine der Vertragsparteien nach § 650r BGB, ist der Unternehmer nach Abs. 3 "nur berechtigt, die Vergütung zu verlangen, die auf die bis zur Kündigung erbrachten Leistungen entfällt". Der Architekt hat damit keinen Anspruch nach § 648 BGB auf die (volle) vereinbarte Vergütung, sondern nur für die erbrachten Leistungen nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen[18]. Soweit es sich bei diesen Leistungen ganz oder teilweise um Grundleistungen nach der HOAI handelt, sind sie danach zu vergüten. Anderenfalls hat der Architekt Anspruch auf die übliche Vergütung nach § 632 Abs. 2 Alt. 2 BGB, sofern nicht vertraglich eine entsprechende Vergütung - z.B. Abrechnung nach Stundensätzen - vereinbart ist.
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1 BGH Urt. v. 24.06.2004 - VII ZR 259/02, BauR 2004, 1640.

2 Dammert, in: Dammert/Lenkeit/Oberhauser/Pause/Stretz, Das neue Bauvertragsrecht, München 2017, § 4 Rn. 18.

3 vgl. Kniffka, in: Baurecht - Sonderheft zum neuen Bauvertragsrecht, S. 1850.

4 Kniffka, in: Baurecht - Sonderheft zum neuen Bauvertragsrecht, S. 1847.
5 Koeble, in: Locher/Koeble/Frik, Kommentar zur HOAI, 13. Auflage, Einleitung Rn. 44.
6 Dammert, in: Dammert/Lenkeit/Oberhauser/Pause/Stretz, Das neue Bauvertragsrecht, München 2017, § 4 Rn. 35
7 Kniffka, in: Baurecht - Sonderheft zum neuen Bauvertragsrecht, S. 1860.
8 dabei handelt es sich dann um Planungsziele/Beschaffenheitsvereinbarungen
9 In diesem Sinn Kniffka, in: Baurecht - Sonderheft zum neuen Bauvertragsrecht, S. 1856.
10 Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/8486, 67
11 Dammert, in: Dammert/Lenkeit/Oberhauser/Pause/Stretz, Das neue Bauvertragsrecht, München 2017, § 4 Rn. 44.
12 Kniffka, in: Baurecht - Sonderheft zum neuen Bauvertragsrecht, S. 1861.
13 Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/8486, 67.
14 Kniffka, in: Baurecht - Sonderheft zum neuen Bauvertragsrecht, S. 1871.
 
15 Dammert, in: Dammert/Lenkeit/Oberhauser/Pause/Stretz, Das neue Bauvertragsrecht, München 2017, § 4 Rn. 82.
16 Kniffka, in: Baurecht - Sonderheft zum neuen Bauvertragsrecht, S. 1872.
17 Kniffka, in: Baurecht - Sonderheft zum neuen Bauvertragsrecht, S. 1873.
18 Kniffka, in: Baurecht - Sonderheft zum neuen Bauvertragsrecht, S. 1873.
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Die Architektenkammer M-V bedankt sich für die Bereitstellung des Fach-Artikels bei RA Professor H. Henning Irmler, Irmler & Collegen Rechtsanwälte, Schwerin zur Veröffentlichung auf der Homepage www.ak-mv.de.

 
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